Oft werden unsichere Hunde als Angsthunde bezeichnet. Doch nur weil ein Hund in gewissen Situationen Angst zeigt, ist er noch lange kein Angsthund. Was der Unterschied ist und wie man mit Angsthunden umgeht, erklärt Verhaltensberaterin Bine Alff im Interview.
Bine, was genau versteht man unter einem Angsthund?
Angst entsteht aus einer Überreaktion auf Stress und äussert sich in Flucht, Erstarren oder Kampf. Wenn ein Hund nicht gelernt hat, mit Stresssituationen umzugehen, kann aus ihm ein Angsthund werden.
Welche Auslöser gibt es für Angst?
Ganz verschiedene. Es gibt diverse Urängste wie Angst vor Höhe oder Knallgeräuschen. Diese können genetisch verankert sein. Die meisten Ängste werden aber durch gesammelte Erfahrungen ausgelöst wie schlechte Haltung, aber auch fehlende Sozialisierung in der Prägephase. Einige Hunde kommen mit diesem Stress nicht klar und entwickeln kleinere oder grössere Ängste.
Was ist der Unterschied zwischen einem ängstlichen Hund und einem Angsthund?
Ein ängstlicher Hund ist meist ein nicht sozialisierter Hund. Er wurde in der prägeähnlichen Phase nicht ausreichend Reizen ausgesetzt – z.B. Menschen, Artgenossen oder der Umwelt – und kennt sie daher nicht. Das heisst, all die neuen Eindrücke können ihn sehr verunsichern und er weiss nicht, wie er damit umgehen soll. Er kann sie aber kennenlernen. Ein Angsthund hat in einer bestimmten Situation so viel Stress, dass er nicht mehr rational damit umgehen kann und mit der Zeit manifestiert sich dieses negative Gefühl.
Das heisst, es gibt mehr ängstliche bzw. unsichere Hund als Angsthunde?
Ja, Angst kommt bei Weitem nicht so häufig vor wie Unsicherheit, aber der Hund bekommt schnell den Stempel «Angsthund», weil er in manchen Situationen Angst zeigt. Während ein unsicherer Hund in der Regel noch Futter nimmt und weder vollkommen erstarrt noch unkontrolliert in die Flucht oder in die Aggression geht, ist ein Angsthund entweder wie gelähmt, will flüchten oder geht auf Kampf über. Angst zeigt sich beispielsweise durch Zittern, Muskelspannung, Herzklopfen, Mundtrockenheit, Schlafstörung sowie Futterverweigerung.
Wie kann man solchen Hunden helfen?
Es ist wichtig, sie mit ihren Ängsten nicht alleine zu lassen. Sie brauchen in einer neuen Umgebung voller Unsicherheiten einen starken Partner an ihrer Seite. Einen stabilen Menschen, der sie klar und mit Empathie führt, ihren Ängsten gelassen und mit eigener Sicherheit begegnet und ihnen Halt gibt. Gemeinsam lassen sich Unsicherheiten überwinden. Am besten fängt man ausserhalb des Konflikts mit dem Training an. Man bringt dem Hund bei, dass er sich jederzeit am Mensch anlehnen darf, wenn er es braucht. Oft wird mitten im Problem angesetzt. Macht man das in Angstzuständen oder starken Unsicherheiten kann der Hund relativ wenig bis gar nicht lernen. Hat er es aber «konfliktfrei» gelernt, kann er es in Stresssituationen abrufen. Es gibt aber auch Angstzustände, die bleiben und so gut wie unmöglich zu therapieren sind.
Wie lange dauert es in der Regel, bis sie ihre Ängste überwinden?
Das hängt vom Hund, vom Halter, von der Angst und von der Dauer des Zustandes ab.
Geht es bei einem Junghund schneller als bei einem älteren Hund?
Das hängt eher vom Erlebten ab und wie manifestiert die Angst ist. Klar ist ein jüngerer Hund meist unvoreingenommener, aber es gibt viele Junghunde, die was schlimmes oder gar nichts erlebt haben und damit grosse Mühe bekunden und dann gibt es alte Hunde, die im Tierheim ängstlich wirkten und dann raus in die Welt marschieren, als hätten sie nie was anderes gemacht.
Kann jeder einen Angsthund bei sich aufnehmen?
Wenn man einerseits bereit ist, sich mit dem Thema Angst und mit sich selber auseinanderzusetzen und wenn man andererseits den Hund ruhig, gelassen und klar führen und ihm den nötigen Halt bieten kann, dann ja.
Wenn man den Schritt wagen möchte, hält man einen Angsthund besser einzeln oder hilft ein souveräner Zweithund oder eine Hundegruppe?
Das kommt auf den jeweiligen Hund und den Menschen an. Einige Hunde orientieren sich gerne an anderen Hunden und lernen so besser, andere sind damit vielleicht überfordert. Solange der Mensch souverän ist, gibt es kein Richtig oder Falsch.
Was kann ich tun, wenn er in Panik verfällt und keine Reaktion mehr auf mich zeigt?
Ruhig bleiben und für ihn da sein. In Stärke, nicht in Mitleid. Mitleid suggeriert dem Hund, dass seine Angst berechtigt ist. Es hilft dem Hund auch nicht, wenn der Mensch genauso unsicher wirkt, wie er sich grad fühlt. Also nicht mit «Säuselstimme» auf ihn einreden, ihn wild streicheln oder versuchen anzulocken, all das wirkt unsicher. Ignorieren ist auch keine gute Strategie, denn dann lass ich ihn seiner Angst alleine. Besser ist es, den Hund nah zu sich heranzuholen (gegebenenfalls über eine Leine) und ihm Schutz in Form von Stärke oder einer ruhigen Hand auf der Schulter zu geben. Dann tief durchatmen und ihn souverän durch die Situation führen.
Kann aus einem Angsthund ein «normaler» Hund werden?
Hm. Ich denke, aus einem Angsthund wird nie ein ganz «normaler Hund». Aus einem unsicheren Hund aber schon – zumindest weitestgehend. Hier entwickelt sich oft eine ganz besondere Beziehung zwischen Mensch und Hund. Trotzdem werden manche Unsicherheiten/Ängste bestehen bleiben. Aber wer ist schon frei von Ängsten und Unsicherheiten? Man kann lernen, damit zu leben!
Worauf muss man achten, wenn ein Angsthund einzieht?
Das Wichtigste ist – ob Angsthund oder nicht – die richtige Sicherung des Hundes. Der Hund sollte vorerst an einem Zugstopp-Halsband und einem gut sitzenden Sicherheitsgeschirr (3-Punkt-Geschirr) geführt werden. Gerade am Anfang ist es besonders wichtig, dass Türen gut geschlossen sind und er nie ohne Leine draussen ist, da die Fluchtgefahr meist sehr gross ist. Dann geht es natürlich darum, dass man sich kennenlernt. Am fairsten ist es, dem Hund von Anfang an mit liebevoller Klarheit und Stärke zu begegnen und ihm somit Sicherheit zu vermitteln. Es braucht ein Fundament, auf das er sich verlassen kann, auch wenn es ihn anfangs vielleicht einschüchtert. Der Hund hat jetzt die Chance auf ein weitestgehend angstfreies Leben. Relativ bald gemeinsam die neue Welt erkunden und den Hund nicht alleine in seinen Ängsten hängen lassen, ist mein Rat. Bei Fragen oder Unsicherheiten holt man sich am besten rechtzeitig Hilfe von einem kompetenten Hundetrainer.
Bei der Verhaltensberaterin Bine Alff steht das gemeinsame im Vordergrund. Nicht gegen den Hund arbeiten, sondern zusammen die richtige Lösung finden. Und jeder darf seinen Charakter behalten, egal ob Mensch oder Hund. www.halb-so-wild-muenchen.de